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Ethik-Symposium
"Wirkungslosigkeit und Aussichtslosigkeit - Der Nutzen des Futility-Konzepts bei medizinischen Entscheidungen"
Donnerstag, 10. November 2022
Wie sollen Gesundheitsfachpersonen entscheiden, wenn Patient*innen und Angehörige Therapien oder Eingriffe wünschen, die aus medizinischer Sicht wirkungslos oder aussichtslos sind? Wann sollen medizinische Massnahmen eingeschränkt oder ganz auf sie verzichtet werden? Lässt sich der Begriff der medizinischen Wirkungslosigkeit oder Aussichtslosigkeit (engl. «medical futility») hinreichend klar bestimmen, um willkürliche Entscheidungen am Lebensende zu verhindern?
Diesen klassischen Fragen der Medizinethik ging das Symposium «Wirkungslosigkeit und Aussichtslosigkeit – Der Nutzen des Futility-Konzepts bei medizinischen Entscheidungen» am Universitätsspital Basel nach. Hintergrund des halbtätigen Symposiums war die im September 2021 von der Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) veröffentlichten Empfehlungen zum Umgang mit Futility in der Gesundheitsversorgung.
In ihrem Eröffnungsvortrag hat Jana Sedlakova, MA, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich und Ko-Autorin der SAMW-Empfehlungen, die Begrifflichkeit und die acht Empfehlungen der SAMW zur Wirkungslosigkeit und Aussichtslosigkeit vorgestellt. Prof. Dr. Bernice Elger, Bioethikerin an der Universität Basel, diskutierte in ihrem Vortrag ausgehend von einem Fallbeispiel verschiedene Definitionen von Futility und deren Probleme. Sie stellte drei Regeln und einen vierstufigen Entscheidungsprozess vor, der den Fokus auf die gemeinsame Therapiezielklärung mit der Patientin (oder der vertretungsberechtigten Person) legt. Dabei gehe es primär darum, dass der Patient festlegt, welche Ergebnisse für ihn akzeptabel sind und welche nicht. Welche Interventionen dafür geeignet sind, sei dann in einer interprofessionellen Teambesprechung zu klären. Dabei können auch Schwellenwerte eine Rolle spielen, die durch den ärztlichen Berufsstand oder die Gesellschaft definiert werden. Jede Intervention sei als Behandlungsversuch zu gestalten, der regelmässig überprüft werde und somit einen iterativen Entscheidungsprozess ermögliche. Prof. Dr. Georg Marckmann, Medizinethiker von der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat auf der Grundlage der neuen Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer (2022) seinen Standpunkt zu «Futility» erläutert. Er gab zu bedenken, dass der Futility-Begriff mit der Gefahr verdeckter Werturteile einhergehe, da er Fach- und Werturteile verbinde. Auch gebe es keine allgemein verbindlichen Schwellenwerte, die dafür herangezogen werden können. Prof. Marckmann hat daher die Verwendung der alternativen Begriffe «Wirksamkeit» und «Nutzen-Schaden-Verhältnis» vorgeschlagen. Während fehlende Wirksamkeit eine einseitige ärztliche Entscheidung zum Therapieverzicht rechtfertigen könne, ist das Nutzen-Schaden-Verhältnis in der gemeinsamen Deliberation zwischen Arzt*Ärztin und Patient*in festzulegen, wobei eine klare ärztliche Empfehlung erfolgen sollte.
In fünf Workshops konnten die Teilnehmenden ihre eigenen Erfahrungen einbringen, den Expert*innen Fragen stellen sowie konkrete Fallbeispiele aus verschiedenen Fachdisziplinen diskutieren. Eine Diskussionsrunde mit den Keynote-Speaker*innen und den ärztlichen Leiter*innen von Intensivstation, Palliative Care, Innere Medizin und Viszeralchirurgie des USB rundete das Symposium ab.
Präsentationen
- Dr. Jan Schürmann: Futility – Historie eines kontroversen Begriffs
- Jana Sedlakova: Wirkungslosigkeit und Aussichtslosigkeit – die Empfehlungen der SAMW
- Prof. Bernice Elger: Futility – Herausforderungen aus Sicht der Biomedizinischen Ethik
- Prof. Georg Marckmann: Futility als Entscheidungshilfe in der klinischen Praxis